Suche

Wenn die Corona-Krise zur seelischen Krise wird

von Nicole Lindenberg
OI-Betroffene Diplom-Psychologin und approbierte Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) arbeitet im Zentrum für interdisziplinäre Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Regensburg

Der Ausbruch des Corona-Virus stellt auch unsere seelische Widerstandskraft auf die Probe: Wir haben Angst um unsere eigene Gesundheit und um die Menschen, die uns nahestehen. Es ist eine nie da gewesene Situation, die sich andauernd ändert. Das macht es uns schwer, alles einzuordnen und führt nicht selten zu Gefühlen von Kontrollverlust und Hilflosigkeit. Die unüberschaubare Menge an unterschiedlichen und z.T. ungenauen oder falschen Informationen, die von allen Seiten auf uns einströmt, kann die Besorgnis noch weiter erhöhen. Aktivitäten, die unserer Seele gut tun würden wie Sport und Kultur sind eingeschränkt und der Rückzug in die eigenen vier Wände unterbindet den Kontakt zu den Menschen, deren Nähe uns gerade jetzt guttun würde.

Wir als OI-Betroffene oder Angehörige befinden uns in einer speziellen Lage: Zum einen gibt es aktuell noch keine Erkenntnisse und damit keine Informationen über den besonderen Verlauf der Infektion bei OI aber es ist dennoch zu vermuten, dass die bei OI gehäuft auftretenden Risikofaktoren den Verlauf der Erkrankung v.a. bei einer Lungenbeteiligung erschweren. Zum anderen reduzieren alle Maßnahmen, die eine Infektion verhindern sollen, unsere vielleicht mühsam erkämpfte Mobilität zurück auf ein Minimum.

Diese außergewöhnliche Belastungssituation fordert unsere seelische Widerstandskraft und kann sie auch überfordern. Es kommt dann z.B. zu unkontrollierbarer Angst und Panik, niedergeschlagener Stimmung oder Schlafstörungen, besonders bei denjenigen unter uns, die schon vor der Krise mit psychischen Erkrankungen gekämpft haben. Dass auch der Zugang zu psychologischer Unterstützung durch Beratung und Therapie aktuell eingeschränkt ist, erschwert das Ganze zusätzlich.

Was können wir also tun?

Konzentriert euch auf Dinge, die ihr kontrollieren könnt und die ihr selbst in der Hand habt: informiert euch bei seriösen Quellen wie dem Robert-Koch-Institut1 oder den Ministerien eurer Länder oder der Weltgesundheitsorganisation2 über die aktuelle Lage und haltet euch an deren Empfehlungen. Gebt auf euch Acht, indem ihr euer Immunsystem stärkt, mit Atemübungen eure Lungenfunktion stärkt, euch gesund ernährt, genug schlaft und euch ausreichend bewegt. Auch zu Hause kann man ein wenig sporteln: im Netz finden sich viele Trainingsvideos auch für Menschen mit Einschränkungen, teilweise sogar von OI-lern selbst. Vermeidet unnötigen Stress, v.a. auch durch zu viele beängstigende Informationen z.B. aus den sozialen Medien: Leicht gerät man in einen Kreislauf aus Unsicherheit, dem Versuch diese durch ein Mehr an Wissen zu verringern und noch mehr Unsicherheit durch beängstigende und irreführende Informationen. Die gewonnene Zeit lässt sich wunderbar nutzen, um ein Entspannungsverfahren wie Autogenes Training oder die progressive Muskelentspannung zu lernen oder regelmäßig zu meditieren. Auch hier bietet das Internet, z.B. auf den Seiten einiger Krankenkassen345, gute Anleitungen und Apps6. Bleibt so gut es geht bei euren gewohnten Abläufen, das schafft Sicherheit und Stabilität. Schon geplante Verabredungen könnt Ihr z.B. digital abhalten, statt sie abzusagen.

Auch wenn unsere Kontaktmöglichkeiten momentan eingeschränkt sind, uns anderen Menschen nahe zu fühlen hält unsere Seele im Gleichgewicht: telefoniert, chattet oder skypt mit euren Freunden, bittet um Hilfe, teilt eure Ängste und Sorgen und quatscht über Alltägliches. Seid für andere da, denen es schlecht geht: Mitgefühlt hilft nicht nur unserem Gegenüber, sondern tut auch uns selber gut.

Und vertraut auf eure Stärken: Jeder von uns hat schon schwierige Situationen erfolgreich gemeistert: Macht euch bewusst, wie ihr das geschafft habt, was euch dabei geholfen hat und wie ihr selbst dazu beigetragen habt, die Herausforderung zu meistern! Wenn wir diese Krise als vorübergehenden Zustand akzeptieren und auch die darin verborgenden Chancen für uns sehen, fühlt es sich vielleicht schon etwas leichter an. Lasst uns unsere Kreativität und Fantasie nutzen, um das Beste draus zu machen!

Und wenn alles nichts hilft?

Viele Städte und Regionen bieten einen „Krisendienst“ an, der Menschen in seelischen Notsituationen unterstützt, rund um die Uhr erreichbar ist und auch zu euch nach Hause kommt, wenn dies notwendig ist. Mit einem Anruf bei der Telefonseelsorge7 bekommt ihr kostenlose Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit. Dort könnt ihr euch auch per E-Mail oder Chat Hilfe holen. Viele Psychotherapeuten bieten vermehrt Telefon- und Videotherapie an, die rechtlichen Vorschriften dazu wurden kurzfristig deutlich gelockert8. Auch die Bezirkskrankenhäuser in eurer Region sind meist für Telefonsprechstunden sowie für Notfälle und die Versorgung mit Medikamenten weiterhin erreichbar.

Nicole Lindenberg

OI-Betroffene Diplom-Psychologin und approbierte Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) arbeitet im Zentrum für interdisziplinäre Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Regensburg

 

Nützliche Links:

  1. Robert-Koch-Institut: Informationen zum neuartigen Coronavirus SARS CoV 2:

https://www.infektionsschutz.de/coronavirus-sars-cov-2.html

  1. World health organisation: Coronavirus disease (COVID-19) outbreak

https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019

  1. Die Techniker: Progressive Muskelentspannung:

https://www.tk.de/techniker/unternehmensseiten/unternehmen/broschueren-und-mehr/mp3-muskelentspannung-2013428

  1. Die Techniker: Body Scan zum Download:

https://www.tk.de/techniker/unternehmensseiten/unternehmen/broschueren-und-mehr/mp3-body-scan-2013432

  1. Die Techniker: Atementspannung: https://www.tk.de/techniker/unternehmensseiten/unternehmen/broschueren-und-mehr/atementspannung-2013424
  2. 7Mind | Deine App für Meditation & Achtsamkeit: https://www.7mind.de
  3. Telefonseelsorge Deutschland: https://www.telefonseelsorge.de/
  4. Bundespsychotherapeutenkammer: https://www.bptk.de/patienten/einfuehrung/

 

Quellen:

Atefeh, Z., & Rahim, B. (2020). Iranian mental health during the COVID-19 epidemic. Asian Journal of Psychiatry(51).

Duan, L., & Zhu, G. (2020). Psychological interventions for people affected by the COVID-19 epidemic. The Lancet Psychiatry.

Hoyer-Kuhn, H., & Semler, O. (2020). Corona Virus (SARS-CoV-2). Abgerufen am 18. März 2020 von www.oi-gesellschaft.de: www.oi-gesellschaft.de/corona-virus-sars-cov-2

Liu, S., Yang, L., Zhang, C., Xiang, Y.-T., Liu, Z., Hu, S., & Zhang, B. (2020). Online mental health services in China during the COVID-19 outbreak. The Lancet Psychiatry.

Siegrist, U., & Luitjens, M. (2011). 30 Minuten Resilienz. Offenbach: GABAL Verlag GmbH.

Wang, C., Pan, R., Wan, X., Tan, Y., Xu, L., Ho, C., & Ho, R. (2020). Immediate Psychological Responses and Associated Factors during the Initial Stage of the 2019 Coronavirus Disease (COVID-19) Epidemic among the General Population in China. International Journal of Environmental Research and Public Health(17(5)).

Windmüller, G. (2020). Das Coronavirus und die Psyche: Was du gegen Sorgen und Ängste tun kannst. Abgerufen am 17.. März 2020 von www.ze.tt: https://ze.tt/das-coronavirus-und-die-psyche-was-du-gegen-sorgen-und-aengste-tun-kannst/

Xiao, C. (2020). A Novel Approach of Consultation on 2019 Novel Coronavirus (COVID-19)-Related Psychological and Mental Problems: Structured Letter Therapy. Psychiatry Investigation(17(2)).

 

 

 

 

Skip to content