Rede von René Bulz, Vorsitzender, anlässlich des 40-jährigen Bestehens der DOIG

Herzlich willkommen zu unserem Festabend, die meisten werden mich kennen, ich bin René Bulz, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta Betroffene e. V. 

Ich begrüße sehr herzlich den Bürgermeister von Duderstadt, Herrn Thorsten Feike, den ehemaligen Bürgermeister (bis 2019) von Duderstadt, Herrn Wolfgang Nolte, Florian Innig, von der ACHSE und dem BKMF, dem Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien, und unser Ehrenmitglied Johanna Maskos. 

1984. Für manch einen ist es ein Roman von George Orwell, der eine dystopische Zukunft beschreibt, doch für uns ist es ein erfreuliches Jahr gewesen, nämlich das Gründungsjahr der Deutschen OI-Gesellschaft. Bereits im Juni 1983 konstituierte sich eine Arbeitsgemeinschaft mit dem Ziel, eine Gesellschaft ins Leben zu rufen, die die Interessen von OI-Betroffenen in West-Deutschland vertreten soll. Es gelang in den folgenden Monaten durch intensive Öffentlichkeitsarbeit, einen immer größer werdenden Kreis von Interessierten zu gewinnen. 

Zur Gründungs-Jahrestagung 1984 gab es dann schon so viele Anmeldungen, dass der Veranstaltungsort kurzfristig nach Freising verlegt werden musste, um alle unterzubringen. Ich zitiere aus dem ersten Mitteilungsblatt der OI-Gesellschaft:

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Am 26.07.1984 fanden sich in der Aula des Kardinal-Döpfner-Hauses 54 Damen und Herren zur Beschlussfassung über die Gründung des Vereins ein. Herr Dr. Radtke verlas den Entwurf einer Satzung, die nach längerer Diskussion und anschließender Abstimmung von allen Anwesenden angenommen und durch Abgabe der Aufnahmeanträge bestätigt wurde. Anschließend wurde die Wahl des Vorstandes durchgeführt.

Sie hatte folgendes Ergebnis:
1. Vorsitzender: Herr Dr. Radtke
2. Vorsitzender: Herr Schermuly
Kassenwart: Frau Scholz
Schriftführer: Herr Dr. Vetter
Beisitzer: Herr Döhrmann,
Frau Westermann, Herr Dr. Pontz

Die Jahrestagung ist der jährliche Höhepunkt in all den 40 Jahren der OI-Gesellschaft. Bereits 1986 ging man dann in das unter alten Hasen noch gut bekannte Mauloff. Dort gab es legendäre Abende in der „Hessestüb“ und auch die ab 1988 stattfindenden Zeltlager werden einigen noch in Erinnerung geblieben sein.

2002 mussten wir uns einen neuen Ort für unsere Jahrestagung suchen. Die Wahl fiel auf ein 4-Sterne Hotel in Bad Nauheim – was uns sicherlich einen guten Komfort bot, aber letztlich nicht unsere wichtige familiäre Atmosphäre widerspiegelte und auch kostentechnisch auf Dauer nicht leistbar war.

Vor nunmehr 20 Jahren sind wir hier im Jugendgästehaus Duderstadt gelandet – und geblieben. Die Hälfte unserer Geschichte arbeiten wir jetzt mit dem wunderbaren Team aus Duderstadt zusammen, und auch hier erinnern wir uns an tolle Abende.

Ich habe vorhin von West-Deutschland gesprochen. Im Osten Deutschlands, also in der DDR, war es erst nach der Wende möglich, unabhängige Interessenvertretungen zu gründen. Die neuen Bundesländer ließen sich nicht lange Zeit und grüdeten bereits 1990 einen eigenen Landesverband. Auf der Jahrestagung 1991 haben sich dann erstmals OI-ler aus ganz Deutschland zusammen austauschen können.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich selbst nicht mal im Traum daran gedacht, in einem Verein Mitglied zu werden. Ich habe nicht einmal gewusst, dass es einen Verein für Menschen mit Glasknochen überhaupt gibt. Für mich begann das Vereinsleben erst 2010. Zunächst wollte ich nur Zugang zur Ärzteliste erhalten und hatte dann eigentlich die Absicht, gleich wieder auszutreten. Als ich dann aber sah, welche Veranstaltungen angeboten wurden und wie interessant und hochwertig die Vorträge und Arbeitsgruppen auf der Jahrestagung waren, änderte ich meine Meinung schnell und bin inzwischen sogar seit sieben Jahren Vorsitzender der Deutschen OI-Gesellschaft.

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Meinen Vorgängern Alexander Rey, Friedemann Knippschild, Willy Hagelstein, Karl Henn und Peter Radtke möchte ich hier ausdrücklich für ihre Arbeit im Verein danken. Karl Henn und Peter Radtke sind inzwischen leider verstorben. In Gedanken sind sie aber immer noch bei uns. Durch Willy habe ich in vielen und auch langen Gesprächen sehr viel über den Verein erfahren. Das ist mir eine wertvolle Hilfe für meine jetzige Arbeit als Vorsitzender der OI-Gesellschaft.

Die Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta Betroffene e. V., so die offizielle Bezeichnung, hat aktuell 1.093 Mitglieder, davon ca. 800 mit Glasknochen. Wir sind in sechs Landesverbänden organisiert und allein beim Bundesverband werden Gelder in Höhe von über 230.000 Euro verwaltet. Mit diesem Geld werden u. a. Veranstaltungen und Projekte durchgeführt. Wie schon erwähnt u. a. die jährliche mehrtägige Jahrestagung, Seminare für Junge Erwachsene und für Erwachsene, seit diesem Jahr auch wieder ein Seminar für Frauen.

Die Landesverbände halten ihre Herbsttagungen und Regionaltreffen ab und haben ganz eigene Veranstaltungen im Laufe der Jahre auf die Beine gestellt, es gab mal ein Vater-Kind-Wochenende, Mobilitätswochenenden, Fortbildung für Physiotherapeuten und Schulbegleiter. Hier wird auch deutlich, wie sich der Bundesverband und die Landesverbände die Aufgaben teilen. In den letzten Jahren sind dann ganz neu die zahlreichen Online-Projekte wie die Frauenrunde, die Männerrunde, der Stammtisch und die Online-Beratungen hinzugekommen.

Nicht nur heute, sondern das ganze Jahr feiern wir 40 Jahre OI-Gesellschaft, u. a. auf unseren Social-Media-Kanälen und auf meineDOIG, unserem Mitgliederportal. In den nächsten Wochen werden wir auf unserer Website eine Zeitleiste freischalten, die die geschichtlichen Daten aus der Vergangenheit darstellt, und auf meineDOIG richten wir Alben ein, mit einer Auswahl der von Euch eingeschickten Fotos. Nicht zu vergessen natürlich die Jubiläumsausgabe des Durchbruchs, die Mitte September erscheint.

Das alles ist nur möglich, weil sich viele Mitglieder ehrenamtlich für unseren Verein engagieren. Diese hier alle zu nennen, würde den Rahmen sprengen. Lasst mich deshalb einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart schlagen, zu denjenigen, die die DOIG mit aufgebaut haben und die deshalb als Ehrengäste heute hier anwesend sind, gehören: Tanja Petersen, Ute Wallentin, Elke Lippold-Jäger, Edith Lindenberg, Marlene und Albert Trapp, Inga Oppermann, Rüdiger Döhrmann, Wilfried Hagelstein und Prof. Dr. Oliver Semler. Wie gesagt, viele Mitglieder, die in den letzten 40 Jahren ebenso engagiert im Verein gearbeitet haben, müssen an dieser Stelle leider unerwähnt bleiben, aber sicherlich nicht unvergessen.

Trotzdem möchte ich einen besonders herzlichen Dank den Mitgliedern des aktuellen Vorstands aussprechen: Der Kassiererin Barbara Kaiser, der jetzigen Schriftführerin und langjährigen OIFE-Präsidentin Ute Wallentin, unserer 2. Stellvertreterin Jutta Bartoschek-Klein und natürlich, meinem 1. Stellvertreter, Max Prigge. Seit 2019 wird der Vorstand durch Andrea König-Plasberg unterstützt, die seit 2020 hauptamtliche Geschäftsführerin ist. Andrea ist darüber hinaus auch für unsere Mitgliederzeitschrift Durchbruch verantwortlich. Noch einmal herzlichen Dank an alle.

In den letzten 40 Jahren hat sich viel verändert. Geblieben ist der Zweck unseres Vereins, Insbesondere die

  • Betreuung und Aufklärung von OI-Betroffenen und ihren Angehörigen
  • Förderung und Unterstützung von Aktivitäten zur Erforschung und Behandlung von OI
  • Aufklärung der Öffentlichkeit über die Probleme der OI-Betroffenen und ihrer Angehörigen

 

Vieles ist erreicht worden:

  • 1989 hat die DOIG zum ersten Mal ein Promotionspreises verliehen.
  • Die DOIG war Gründungsmitglied der OIFE im Jahr 1993.
  • Die DOIG ist Hausgeberin von verschiedenen Broschüren, die erste war 1997 „Glasfit“.
  • Vor zehn Jahren, zum 30. Jubiläum wurde ein Konsensus-Papier von verschiedenen Kinderärzten (u. a. Prof. Semler, Prof. Wirth, Prof. Stücker) – veröffentlicht in der Monatsschrift Kinderheilkunde (am 16.11.2016).
  • 2021 wurde in Nümbrecht ein MZEB für OI-Betroffene eröffnet, wofür sich die DOIG eingesetzt hat,
  • Seit 1. Juli 2021 ist Glasknochen in der Diagnoseliste für langfristigen Heilmittelbedarf, auch dafür hat die DOIG sich stark gemacht,
  • und aus der Ärzteliste wurde 2022 eine qualifizierte Übersicht, die im Rahmen eines Projektes mit Hilfe von Fördermitteln des Bundesministeriums für Gesundheit erstellt werden konnte, um nur ein paar wichtige Meilensteine zu nennen.

 

Komplett gewandelt hat sich in den vergangene 40 Jahren die Arbeitsweise. Vieles findet online statt. Es gibt Kommunikationstools, an die vor 20 Jahren noch nicht zu denken war. Beim Aufräumen der Geschäftsstelle in Hamburg haben wir noch alte Einladungen zu Vorstandsitzungen gefunden, die per Brief verschickt wurden. Vorstandssitzungen finden heute ausschließlich online statt. E-Mail, WhatsApp, Telegram und das Mitgliederportal meineDOIG sind die wichtigsten Kommunikationsformen in der täglichen Vereinsarbeit, und für die Öffentlichkeitsarbeit sind es unsere Facebook- und Instagram-Kanäle, wo unser ehrenamtliches Social-Media-Team erfolgreich für einen ebenso professionellen wie sympathischen Auftritt unseres Vereins sorgt. Trotzdem bleibt Präsenz wichtig: Der Gesamtvorstand trifft sich immer noch zweimal im Jahr.

Wir schaffen die Plattform, aber die Vernetzung erfolgt heute individueller. Es gibt auch Gruppen in den Social-Media-Kanälen, die auch außerhalb der DOIG laufen, das gab es früher so nicht, wobei die DOIG natürlich immer für Qualität steht 😊.

Heute arbeitet die DOIG in verschiedenen Gremien und Ausschüssen mit, und über die Kooperations- und Dachverbände ACHSE und BAG Selbsthilfe sind wir als Organisation interessanter Ansprechpartner z. B. für Krankenkassen, Schulen, Ärzte, Physiotherapeuten und Kliniken geworden. Zukünftig können wir durch unsere Mitarbeit im gemeinsamen Bundesauschuss und beim wissenschaftlichen Projekt Fair4Rare unseren politischen und wissenschaftlichen Beitrag leisten, hier wird Claudia Finis für die DOIG tätig sein.

Auch im internationalen Bereich z. B. über die OIFE oder die Stiftung Care4BrittleBones sind wir tätig. Die Präsidentin der OIFE, Ingunn Westerheim, wird nachher noch eine Videobotschaft an uns richten.

Peter Radtkes Vision hat sich erfüllt: Die Deutsche OI-Gesellschaft ist für viele Betroffene ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens geworden. Politisch werden wir immer einflussreicher und die wissenschaftliche Arbeit zum Wohle der OI-ler wird in Zukunft einen immer wichtigeren Raum einnehmen.

Sind wir damit am Ziel angekommen? Leider nicht. Viele Themen beschäftigen OI-Betroffene und Angehörige damals wie heute: Wichtige Hilfsmittel müssen eingeklagt werden, bei der Transition gibt es nach wie vor Probleme, auch bei der medizinischen Versorgung, ebenso beim Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt. Die barrierefreie Wohnung, auch im Alter, bleibt für viele immer noch im Bereich der Utopie. Deshalb machen wir weiter, Beratung für Beratung, Seminar für Seminar, Jahrestagung für Jahrestagung.

Die Zukunft hält viele Herausforderungen für uns bereit, sie wird aber auch wahnsinnig spannend werden. Mit einem neugierigen? optimistischen? Blick auf die nächsten 10 Jahre Deutsche OI-Gesellschaft bedanke ich mich für Eure und Ihre Aufmerksamkeit.

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